Onkologie - spezialisierte Tumortherapie

Peritonealkarzinose - Bauchfellkarzinose - Bauchfellkrebs
chirurgische Onkologie - regionale Chemotherapie - Peritonektomie

Erworbene Thrombophilie durch Krebs

Ludwig Lutz, München

Im klinischen Alltag muss man bei Krebspatienten in etwa 15 % mit einer thromboembolischen Komplikation rechnen. Bei bestimmten malignen Erkrankungen kommt es zu einer Inzidenz von bis zu 30 %. Die Thrombose ist mit all ihren Komplikationen als Begleiterscheinung bei Krebs so häufig, dass man regelrecht von einer Thrombophilie durch Krebs sprechen kann.

 

An sich ist das Problem vermehrter Thrombosen bei malignen Erkrankungen schon lange bekannt, nachdem Trousseau bereits 1865 auf die enge Assoziation von Krebs und Thrombose hingewiesen hat [1]. Tragischerweise schloss er zu Recht bei sich selbst aus dem Auftreten einer Thrombophlebitis migrans auf ein Magenkarzinom, an dem er acht Monate später verstarb [2]. Diese Erkenntnisse wurden bald Allgemeingut, so dass in einem Konversationslexikon 1908 unter dem Stichwort "Thrombosis" folgende Auskunft zu finden ist: "Endlich bilden sich Gerinnungen in den Venen bei stark abgemagerten Kranken, wenn Sie ruhig daliegen, wenn gleichzeitig die Herzkraft
Tab.1. Inzidenz der Thromboambolie
bei Karzinomen [4]
Krebs Patienten mit
thromboembolischen
Ereignissen [%]
Bronchialkarzinom
Pankreaskarzinom
Magenkarzinom
Kolonkarzinom
Gynäkologisches
Malignom
(Ovar/Uterus)
Prostatakarzinom
27,9
18,4
17,0
15,7
7,2


7,1

abgenommen hat, das Blut also nicht schnell genug fließt. So ist .... die Thrombose auch eine sehr gewöhnliche Komplikation der .... Krebskrankheit." [3]. Im klinischen Alltag muss man bei Krebspatienten in etwa 15 % mit einer thromboembolischen Komplikation rechnen. Bei bestimmten malignen Erkrankungen kommt es zu einer Inzidenz von bis zu 30 %. Dabei kommt neben dem Bronchialkarzinom offensichtlich den Adenokarzinomen zum Beispiel des Pankreas und des Magens eine besondere Rolle zu [4] (Tab. 1 ).

In einer großen Sektionsstatisitik [5] bei 1 505 Obduktionen mit maligner Erkrankung innerhalb von fünf Jahren wiesen 607 Verstorbene entweder eine Venenthrombose, eine Lungenembolie oder beides auf (40,3 %). In einer Vergleichsgruppe ohne Malignom (2 720 Patienten) war nur bei 31,7 % ein thromboembolisches Ereignis nachweisbar. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p < 0,01). Auch in dieser Mortalitätsbetrachtung sind bestimmte Karzinome überproportional vertreten (Tab. 2). Werden nur Veränderungen betrachtet, die für eine abgelaufene oder "ältere" Thromboembolie sprechen, ergibt sich eine deutlich niedrigere Inzidenz. Der Unterschied zwischen Patienten mit (11 %) und denen ohne Malignom (5 %) ist aber relativ noch höher (p < 0,005) als bei Betrachtung aller thromboembolischer Ereignisse. Obwohl Thrombose und Embolie ein Begleitphänomen der Phase der Agonie sind und es bei vielen Patienten unabhängig von ihrer Grunderkrankung präfinal zu thromboemboli-

Tab. 2. Überproportinale Inzidenz einer Thromboembolie bei Malignomen (Sektionsbefunde) [5]
Diagnose Thrombose und/oder Embolie [%]
Magenkarzinom
Kolorektales Karzinom
Malignes Melanom
Pankreaskarzinom
Hypernephrom
Ovarialkarzinom
Gallenblasen-/
Gallengangskarzinom
Korpuskarzinom des Uterus
Bronchialkarzinorg
Portiokarzinom
HNO-Karzinom
Alle Malignome zusammen
58
50
50
49
48
48
46


44
44
43
43
40

schen Ereignissen kommen dürfte, zeigen Krebspatienten häufiger thromboembolische Komplikationen. Der sehr deutliche Unterschied in der Inzidenz älterer Thrombosen belegt die kausale Rolle einer malignen Grunderkrankung. Die Thrombose ist mit all ihren Komplikationen als Begleiterscheinung bei Krebs so häufig, dass man regelrecht von einer Thrombophilie durch Krebs sprechen kann [27].


  thromb

Pathophysiologie

Pathophysiologisch gesehen gilt selbstverständlich auch für die Thromboseneigung bei malignen Erkrankungen die Virchow'sche Trias (Abb. 1). Die einzelnen Kausalfaktoren wirken bei Krebspatienten genauso zusammen wie bei anderen Kranken, werden aber verstärkt durch zusätzliche prokoagulatorische Vorgänge, die direkt von der malignen Zelle in Gang gebracht werden (s. später).

Tab. 3. Mögliche Anteile des Endothels an der Thrombophilie durch Krebs (Auswahl)
Direkte Endothelläsion
Zentralvenöser Katheter
Chemotherapie
Tumorinfiltration
Prothrombotische Endotheldysfunktion
Zytokine
Expressinn von Tissue Factor
Thrombomodulin-Veränderung
Plasminogenaktivator-Inhibitor

Gefäßwand


Schädigungen des Endothels (Tab. 3) bei Krebs sind abgesehen von mechanischer Läsion durch zentralvenöse Katheter in erster Linie medikamentös-toxisch bedingt. Bei einer Vielzahl von Zytostatika sind Endothelschädigungen beschrieben [6]: zum Beispiel sind Mitomycin C, Cisplatin, Bleomycin, Fluorouracil und DTIC Substanzen, von denen schon lange bekannt ist, dass sie eine medikamentös toxische Endothelschädigung verursachen können [6]. Auch allergische immunkomplexvermittelte Reaktionen sind beschrieben, zum Beispiel nach Mitomycin C, als deren Maximalvariante die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (Moschcowitz) betrachtet werden kann [7].
Zentralvenöse Zugänge, insbesondere auch venöse Portsysteme weisen das Risiko so genannter katheterassoziierter Thrombosen auf. Dabei ist bei gleichzeitiger Chemotherapie, insbesondere Hochdosis-Chemotherapie die Inzidenz nochmals überproportional höher [8]. Auf die direkte oder indirekte Induktion einer prothrombotischen Endotheldysfunktion durch die malignen Zellen wird später ausführlicher eingegangen.

 

Blutströmung

Innerhalb der Virchow'schen Trias spielt der gestörte Blutfluss eine im klinischen Alltag außerordentlich wichtige Rolle. Natürlich treten klinische Umstände, bei denen mit einer Verlangsamung der Blutströmung oder Wirbelbildung zu rechnen ist, bei Krebspatienten immer wieder auf. Bei der venösen Stase (Tab. 4), zum Beispiel durch Immobilisation oder den Venenabfluss behindernde Tumoren, wird vor allem ein bereits

Tab. 4. Beispiele für Veränderung der Blutströmung
Venöse Stase
Kompression (Tumor oder Lymphom)
Tumorinfiltration
Immobilisation
Lymphstau
Postthrombotisches Syndrom
Variköser Symptomenkomplex

bestehendes Risiko im Sinne der multifaktoriellen Pathophysiologie der Phlebothrombose potenziert, wie es von der postoperativen Phase her, aber eben gerade auch bei Krebspatienten hinlänglich bekannt ist. Das postthrombotische Syndrom birgt ein von Hause aus erhöhtes Thromboserisiko in sich, das bei Krebspatienten potenziert wird.

Blutzusammensetzung

Der dritte Punkt der Virchow'schen Trias betrifft die Blutzusammensetzung (Tab. 5), wobei der Zustand der Hyperkoagulabilität im Sinne einer thrombophilen Diathese gemeint ist.
Eine Operation erzeugt einen hyperkoagulabilen Zustand unter anderem über eine Einschwemmung von Gewebsfaktor (Tissue Factor, Gewebs-Thromboplastin). Maligne Zellen können von sich aus Tissue Factor, aber auch andere Prokoagulanzien exprimieren und dadurch eine thrombotische Diathese induzieren.

Tab. 5. Mögliche Ursachen für Blutveränderungen bei Krebs (Hyperkoagulabilität)
Hereditäre Thrombophilie
Tumorkoagulanzien
Thrombozytenaktivierung
Exsikkose
Inhibitorenmangel (Antithrombin, Protein S, Protein C)
Erhöhung von Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI)
Akute-Phase-Reaktion (z. B. Fibrinogenerhöhung)
Auf der anderen Seite findet sich eine ganze Reihe von thrombosefördernden Umständen, die gerade auch bei malignen Erkrankungen immer wieder auftreten. So kommt es bei Krebspatienten relativ häufig zu Exsikkose, die sich zwar wegen der meist gleichzeitig bestehenden Anämie nicht über einen erhöhten Hämatokrit auswirkt, sondern eher durch Verstärkung einer Thrombozytose. 30 bis 50 % fortgeschrittener, metastasierender Karzinome gehen mit einer Thrombozytose einher, die für sich alleine wahrscheinlich keine Thromboseneigung induziert, aber vielleicht in Kombination mit einer malignen Erkrankung durch Aktivierung dann doch eine prokoagulatorische Rolle spielt. Auch die Fibrinogenerhöhung im Rahmen der Akute-Phase-Reaktion hat durchaus gerinnungsfördernde Qualität.


 

Thrombusbildung und Metastasierung - eine gemeinsame Endstrecke

Ein Teil der Thromboseneigung durch Krebs liegt in der Tatsache, dass in Zusammenhang mit der Metastasenbildung ähnliche Mechanismen aktiviert werden können wie bei der Entstehung eines Thrombus [9]. Auf diese Weise lässt sich eine gemeinsame Endstrecke von Gerinnung und Metastasierung ableiten, bei der die gesteigerte Thrombozytenaktivierung durch Tumorzellen über Endothelläsionen, aber auch direkt durch Zell-Zell-Interaktionen vermittelt werden kann. Gleichzeitig imitieren Tumorzellen durch die Bildung gerinnungsfördernder Aktivitäten die plasmatische Gerinnung in ihrer Umgebung. So mündet das biologische Verhalten vieler Tumorzellen in einer Blutgerinnungsaktivierung, die für die Metastasierung förderlich ist [10]. Hierbei ist noch zu bedenken, dass die Aussaat von Tumorzellen ebenso wie die Infiltration von Geweben zu der bereits erwähnten Akute-Phase-Reaktion führen, die neben vermehrter Fibrinogenbildung und gesteigerter Thrombozytenbildung auch den Kinin-Kallikreinstoffwechsel sowie das Monozyten-Makrophagen-System aktiviert. Mit dieser Reaktion lässt sich dann auch eine gemeinsame Endstrecke von Tumor und Entzündung konstruieren, so dass die Krebserkrankung auch als "nicht heilende Entzündung", besser noch als eine "nichtheilende Wunde" [11] aufgefasst werden kann, womit sich letztlich auch der Kreis zum Endotheldefekt schließt.


 

Hereditäre Thrombophilien und Thromboseneigung bei Krebs

Welche Rolle die inhibitorischen Mechanismen der Blutgerinnung bei der Krebserkrankung spielen, lässt sich nicht einheitlich festlegen. Immerhin ist anzunehmen, dass die Thrombophilie durch Krebs über eine gut funktionierende Gerinnungshemmung teilweise kompensiert werden kann. Zusätzliche über verminderte Inhibition verursachte Thrombophilien, wie zum Beispiel die APC-Resistenz, werden eine erhebliche Steigerung des Thromboembolie-Risikos bei malignen Erkrankungen bedingen. Systematische Untersuchungen zu diesem Problemkreis stehen noch aus. Die Aktivierung von Protein C am Thrombin-Thrombomodulin-Komplex der Gefäßwand führt zu einer Hemmung der Faktoren Va und VIIIa, kann aber auch den Gefäß-Plasminogenaktivator aktivieren und die Thrombozytenfunktion hemmen, vor allem über den Faktor X-Rezeptor am Thrombozyten, der eine große Rolle für die Begleitaktivierung von Thrombozyten spielt.
Die Punktmutation im Faktor-V-Gen (Faktor-V-Leiden), die in mindestens 80 % der Fälle für die so genannte APC-Resistenz verantwortlich ist, kommt doch immerhin bei 5 % der Normalbevölkerung vor [12]. Deshalb hat diese Punktmutation vermutlich auch im Zusammenhang mit Krebserkrankungen eine Bedeutung, da das Verhältnis pro- und antikoagulatorischer Reaktionen zugunsten der Gerinnung verschoben wird. Antithrombin III (AT III), dessen Mangel als erster familiärer Inhibitormangel beschrieben wurde, ist ein endogener Inhibitor des Thrombin, es gehört zur Gruppe der so genannten Serpine (SERine Proteinase INhibitors). Antithrombin bildet mit Thrombin inaktivierende Komplexe, deren Formation durch die Anwesenheit von Heparin erheblich beschleunigt wird. Zu beachten ist, dass dieses Antithrombin nicht nur mit Thrombin und mit dem Faktor Xa, sondern auch mit dem Kinin-Kallikrein-System interagiert, das bereits in Zusammenhang mit Entzündung angesprochen wurde. Interessant in diesem Zusammenhang erscheint die Beobachtung, dass die antihormonelle Therapie, zum Beispiel mit Tamoxifen , einen Pseudo-AT-III-Mangel bewirkt [13]. Möglicherweise liegt hier einer der Schlüssel für das Thromboserisiko bei Tamoxifen-Therapie. Alle anderen angeborenen Inhibitormangelzustände sind so selten, dass sie für die Thromboseinzidenz bei Krebspatienten eigentlich keine bedeutende Rolle spielen können. Die Bedeutung angeborener vermehrter Gerinnungsaktivierung wie der Polymorphismus im Prothrombingen (Prothrombinvariante G20210A) oder auch die hereditäre Hyperhomozysteinämie (z. B. MTHFR TT677 Genotyp) ist noch schwerer abzuschätzen, weil es außer bei Leukämie [14] keine systematischen Untersuchungen bei Krebspatient gibt.


 

Erworbene Thrombophilie durch Krebs

Oberflächenaktivierung der Gerinnung

Angesichts der Tatsache, dass sich Blutgerinnung meist an Grenzflächen - Zellmembranen oder Phospholipiden abspielt, ergibt sich in Hinblick auf die Krebszelle zwangsläufig ein Überangebot an Grenzflächen, weil die metastasierende Krebserkrankung an multiple Zell-Zell-Interaktionen gebunden ist. Durch solche Vorgänge werden Infiltration und Metastasierung gebahnt. Dabei ist ein Wechselspiel zwischen den Oberflächen von Krebs- und Endothelzellen ebenso wie von Thrombozyten und Monozyten-Makrophagen zu beobachten. Aktivierte Thrombozyten können wie Kristallisationskerne für Gerinnungsaktivierung wirken, und das aktivierte Monozyten-Makrophagen-System, das selbst ein sehr potenter Tissue-Factor Produzent ist, verstärkt diese prokoagulatorische Koalition noch. Sogar die neutrophilen Granulozyten, die an realativen Entzündungsvorgängen beteiligt sind, können als prokoagulatorische Oberfläche eingebunden sein. Gesellt sich zu diesen Interaktion möglicherweise eine Schädigung aus anderen Gründen, zum Beispiel Endotheldysfunktion durch Hypoxie, toxische Schädigung oder Zytokine, kommt es schnell zu einer überschießenden Gerinnungsaktivierung, die durch Freiwerden der subendotheliale Matrix, die ein maximal prokoagulatorisches Gewebe ist, noch um ein Vielfaches potenziert werden kann. Im Grunde ergibt sich aus diesen Betrachtungen das Modell einer "nicht heilenden chronischen Wunde" [11] mit der Interpretation der infiltrierenden Krebsgeschwulst als innerer Wundfläche, die die frustranen Heilungsprozesse als prokoagulatorisches Prinzip beim Krebs-Patienten auffasst.


 

Die Rolle der malignen Zelle

Wird die maligne Zelle selbst in den Mittelpunkt gestellt, können von den proliferierenden Krebszellen prokoagulatorische Genprodukte exprimiert werden. Die Präsentation von Tissue Factor als transmembranösem Rezeptor für den Faktor VII stellt ein eindrucksvolles Beispiel für die "hausgemachte Gerinnung" durch die Krebszelle dar. Ähnliche Verstärkereffekte gelten für alle anderen von malignen Zellen gebildeten Prokoagulanzien, am deutlichsten aber sicher für das "Cancer Procoagulant", eine Cysteinprotease, die den Faktor X direkt aktiviert. Bei muzinösen Adenokarzinomen konnte außerdem ein Glykoprotein isoliert werden, das auf nichtproteolytischem Weg Faktor X aktiviert. [10] Möglicherweise sind deshalb in der Liste für krebsinduzierte Thromboseneigung gerade die Adenokarzinome auffällig gehäuft vertreten.
Es sind noch andere prokoagulatorische Prinzipien bei Krebszellen wie zum Beispiel die Expressinn eines Faktor-V-Rezeptors nachgewiesen, diese sind jedoch viel seltener.
Die Tatsache, dass - wie bereits beschrieben - malignes Wachstum auch immer mit Zell-Zell-Interaktionen einhergeht, verstärkt weiterhin eher die Gerinnungsneigung. In diesem Zusammenhang spielt die Sekretion eines Peptids eine Rolle, das als "Vascular permeability factor" bezeichnet wird. Einerseits fördert dieses Peptid die Mikropermeabilität, die in wachsenden Tumoren nachweisbar ist, andererseits induziert es Monozyten-Aktivierung und Chemotaxis durch die Endothelschicht [10]. So kommt es über diese Aktivierung des Monozyten-Makrophagen-Systems zur zusätzlichen Expressinn von Tissue Factor und Zytokinen. Parallel entwickelt sich eine Steigerung der Adhäsivität und Aggregabilität von Thrombozyten, die der malignen Zelle auf diese Weise regelrecht zuarbeiten.


 

Antithrombotische Aktivitäten der Tumorzelle

Möglicherweise wäre die Thrombose als klinische Komplikation fortgeschrittener Krebserkrankungen noch viel häufiger, wenn nicht auch gerade bei Zuständen mit hoher Tumorlast vermehrt Tissue-Factor-Pathway-Inhibitor (TFPI) nachzuweisen wäre. Wahrscheinlich stammt die TFPI-Aktivität jedoch nicht aus der Tumorzelle, sondern scheint möglicherweise als Folge einer Zytokin-Induktion vom Endothel gebildet zu werden. [16] Die Wechselwirkungen von Krebszellen mit den proteolytischen Stoffwechselwegen der Fibrinolyse heben das prokoagulatorische Potential der malignen Zelle nicht auf. Die Expression des Plasminogen-Aktivator-Rezeptors, die Bildung von Urokinase-like Plasminogenaktivator einerseits und von Plasminogenaktivator-Inhibitor andererseits stellen die häufigsten Beziehungen zur Fibrinolyse dar.
Interessanterweise sprechen viele Untersuchungen für eine prognostische Relevanz der Interaktion mit der Fibrinolyse. So ist beim Mammakarzinom die Zelle wohl biologisch umso aggressiver, je mehr Urokinase-like-PlasminogenAktivator (u-PA) und je mehr Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI) gebildet wird. Auch für den Rezeptor der u-PA (u-PAR) scheint diese Korrelation zu bestehen. Normalerweise müssten die eben beschriebenen Aktivitäten der malignen Zelle eine Hyperfibrinolyse induzieren, also eigentlich müsste die Thromboseneigung durch die Krebszelle sozusagen selbst limitiert werden. Möglicherweise reduzieren die Tumoren über die Expression des Plasminogenaktivator-Rezeptors die proteolytischen Aktivitäten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, so dass es nicht zu einer systemischen Hyperfibrinolyse kommt [17].


 

Klinische Konsequenzen

Die unspezifischen und spezifischen Wechselwirkungen der Tumorzelle mit dem Gerinnungssystem sind häufig Anlass einer Förderung der Gerinnung, was in thoretischer Deutung als Vorbereitung für Infiltration und Metastasierung aufgefasst werden kann. Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass die Gerinnungsaktivierung eine pathophysiologisch sehr wichtige Parallelerscheinung darstellt. Daraus resultiert möglicherweise auch die Neigung von Krebspatienten zu seltenen und merkwürdigen Thromboseformen, die in ihrer Gesamtheit als Trousseau-Syndrom bezeichnet wird (Tab. 6).
Tab. 6. Trousseau-Syndrom [18-20]
 
Thrombophlebitis migrans et saltans
Nicht bakterielle thrombotische Endokarditis
Arterielle digitale und zerebrale Thromben
Thrombose der Leber-, Portal- und Mesenterialvenen
Bein-, Beckenvenenthrombose bei Malignom
Hals-Arm-Venenthrombose
Thromboserezidiv unter oraler Antikoagulation
Typischer Vertreter des Trousseau-Syndroms ist die als Thrombophlebitis migrans et saltans bezeichnete oberflächliche Venenentzündung, die an verschiedenen Stellen aufflackert und dann meist spontan wieder abklingt [21]. Sie kann mit sehr ausgeprägten Schmerzen einhergehen, so dass sich die Patienten immobilisieren und so einer tiefen Beinvenenthrombose Vorschub leisten. Diese relativ seltene Erkrankung tritt am ehesten bei einem Adenokarzinom des Pankreas oder des Ovar auf.
Auch die nichtbakterielle thrombotische Endokarditis ist eine seltene Erscheinung, aber möglicherweise nur deswegen, weil sie nicht erkannt wird. Sie betrifft hauptsächlich Mitral- und Aortenklappe und stellt eine Quelle für eine arterielle Embolie dar [12]. Lebervenen-, Portal- oder Mesenterialvenenthrombosen sind ebenfalls überproportional häufig mit Malignomen, insbesondere auch mit myeloproliferativen Erkrankungen vergesellschaftet. Die tiefe Beinvenenthrombose mit und ohne Lungenembolie ist sicher die häufigste thrombotische Komplikation von malignen Erkrankungen, wobei das Rezidiv unter ausreichender oraler Antikoagulation auch zum so genannten Trousseau-Syndrom gezählt wird. Natürlich spielt für die Inzidenz der Phlebothrombose im Rahmen maligner Erkrankungen auch die Tatsache eine Rolle, dass Krebs im Alter gehäuft auftritt. Heutzutage muss das hepatische Venenverschlusssyndrom (veno-occlusive disease, VOD) bei der Hochdosis-Chemotherapie mit vor allem allogener, aber auch autologer Knochenmarks- oder Stammzelltransplantation in die Liste der malignomassoziierten thrombotischen Komplikationen aufgenommen werden [22].
Die so genannten katheterassoziierten Thrombosen sind bei Krebspatienten auch als eine Komplikation der Thrombophilie durch Krebs zu sehen, deren Häufigkeit unter Chemotherapie, vor allem aber bei kontinuierlicher Infusionschemotherapie von 24 Stunden oder mehr klinisch durchaus relevant ist [8].


 

Medikamentöse Antikoagulation und Krebs

Es gibt keinen Zweifel, dass eine medikamentöse Antikoagulation die mit Thromboembolien einhergehenden Komplikationen vermindert. Wahrscheinlich beeinflusst eine Thromboseprophylaxe bei Krebspatienten auch das Gesamtüberleben [13]. Das rührt zum Teil natürlich von der perioperativen Prophylaxe, die bei Krebspatienten besonders wichtig ist, nachdem eine postoperative Thrombose bei Krebspatienten etwa fünfmal häufiger ist als bei operierten Patienten, die keine Krebserkrankung haben [23].
Unfraktioniertes oder niedermolekulares Heparin stellen die Antikoagulanzien der Wahl dar für Krebspatienten, die sich einer chirurgischen Behandlung unterziehen müssen [10]. Es gibt sogar Beobachtungen, dass Krebspatienten, die wegen einer tiefen Beinvenenthrombose mit Antikoagulanzien behandelt werden müssen, eine reduzierte Krebsletalität zeigen [24]. Im Gegensatz zur perioperativen Prophylaxe ist die Frage, welche Krebspatienten in welcher klinischen Situation eine medikamentöse Thromboseprophylaxe benötigen, noch nicht mit ausreichender Evidenz zu beantworten. Völlig unbestritten sind lediglich die perioperative Einstufung von Krebspatienten in die Hochrisikogruppe [25] und die Langzeitantikoagulation bei Patienten mit malignen Erkrankungen, die während ihrer Erkrankung bereits eine thromboembolische Komplikation durchgemacht haben [26].


 

Literatur

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Verfasser: Dr Ludwig Lutz
Stätdisches Krankenhaus München-Harlaching
4. Medizinische Abteilung
Sanatoriumsplatz 2, 81545 München

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